Summer

Ich sagte: Ich liebe Dich.
Du sagtest: Warte.
Du dachtest: Nimm mich.
Ich sagte: Geh.

Summer wand ich mir zu.“Du verlangst, dass wir einander zu gleich grossen Anteilen lieben, wie kannst du nur so etwas sagen?“ Ihre Augen waren gross und dunkel. „Wir müssten sterben auf der Stelle, um diesen Moment halten zu können.“ Ich verstand sie nicht, ich wollte sie nicht verstehen. Ich wollte sie küssen, alles aus ihr heraus küssen, bis nur noch ihre weisse Hauthülle übrig war und ich setzte meine Lippen auf ihre Nackenhärchen, weil ich nicht wusste, was sonst zu tun war, und wir waren vertraut und allein und unkompliziert miteinander. Heute habe ich einen ihrer rosafarbenen Notizzettel wiedergefunden. Sie hatte ihn an die Wohnungstür geklebt, damit ich ihn las wenn ich heimkam, wie jedes Mal bevor sie ins Bett ging; ihre schön geschwungene Schrift „Mon Amour, ich sehne mich nach einer tragischen Geste von dir und gehe jetzt schlafen.“ – 2 Uhr – , Meine Hände sind müde vom Halten und ich weiss, dass ich sie nur enttäuschen kann mit meinen Händen, die wie Schaufeln sind, meine ungeschickten Wurstfinger, die ihren Körper ackern, furchen, pflügen; und ihre Lieblichkeit, die leicht ist und meinen Schlafraum und mein Bett ausfüllt und ich möchte sie glücklich machen, ohne sie anfassen zu müssen. Oft schlief ich neben dem Bett, um sie nicht aufzuwecken, es reichte mir, dass ich sie im Zimmer wusste. Ich hatte immer den gleichen Traum, wenn Summer neben mir schlief:

Später Nachmittag. Ein Engel-Mädchen und ein Tanzbär fahren an einen abgelegenen See. Engel-Mädchen läuft voraus, schwebt im Schatten des Windes, die Locken winden sich im Takt der Baumkronen. Der Himmel ist grau und sehr nah.
Tanzbär, ihr in den Rücken schreiend: Ich liebe Dich und meine Liebe zu Dir macht mich tollkühn. Sprich einen Wunsch aus, irgendeinen, und ich werde ihn dir erfüllen.
Tanzbär macht ein entschlossenes Gesicht. Engel-Mädchen bleibt stehen, lacht.
Engel-Mädchen: Beeil dich. Hier ist ein schöner Platz, lass uns hier liegen und den Regen fangen. (kurze Pause) Ich will dich bitten, die Tropfen für mich in deiner Hand zu halten, um daraus trinken zu können.
Engel-Mädchen spitzt die kirschroten Lippen, lächelt, atmet ein. Tanzbär streckt seine Tatzen aus bis es regnet, die Tropfen versickern in seinem Fell. Nicht einen Tropfen kann er halten. Engel-Mädchen sieht enttäuscht aus, weint, fliegt davon, wart nicht mehr gesehen.

Summer wand sich aus meinen Armen. Ich hielt sie von hinten umschlungen, unsere Körper waren ein Sandwich ohne Belag. Summer drehte sich zu mir, ihre Nasenspitze kitzelte meine Wange, eine Viertel Sekunde vielleicht, vielleicht länger, ich hatte nie ein Zeitgefühl, wenn Summer bei mir war. Durch die Jalousinen fiel ein schmaler Lichtstreifen auf ihr Gesicht, durchkreuzte es ohne Rücksicht auf die sanften Züge. Summer flüsterte und der Raum füllte sich mit ihren Tönen: “ Du siehst nachdenklich aus, du denkst zu viel, selbst im Schlaf denkst du, das macht dich schwach und mich träge, wenn du mir nicht sagst, was es ist. Weisst Du, ich kann es in meinem Rücken fühlen, wenn du um mich herum denkst.“ Ich sagte ihr: „Es  ist meine grenzenlose Liebe zu Dir, die macht mich schwach und leblos.“ „Red doch nicht.“ Summer grinste, sie sah zufrieden aus, ihre Haut entspannte sich.

Ich lernte Summer vor einem Jahr auf dem Geburtstag meines besten Freundes Tom kennen. Er hatte Summer nicht halten können, erzählte er mir damals, sie sei wild, eine exzessive Lustfrau, er habe sie eines Abends mit dem dunkelhäutigen Elektriker erwischt, Summers rotes Kleid in seinen dreckigen Händen haltend, hatte der Elektriker sie gefickt wie ein Karnickel, und Summer hatte vor Lust laut aufgestöhnt. Toms gekränkte Eitelkeit lief ihm zusammen mit seinem Speichel aus dem Mund als er sagte „Lass die Finger von ihr, ich warne dich. Die kann einen schon irre machen mit ihrem Scheiss-französischem Gelaber. Scheisse man, hörst du mir überhaupt zu?“ „Ja Tom, ich höre zu.“ Ich hatte zugehört, bis Summers Blick meinen traf, Summer war vielleicht zehn Meter von mir entfernt, ihre Augen hatten mich durch den Raum gesucht, legten sich in mir nieder und verharrten dort einen Weile, als ich ihren Blick erwiderte, sah sie weg. Ich hatte sofort gewusst, dass es sich nur um Summer handeln konnte, obwohl Tom sie mir nicht vorgestellt hatte. Tom winkte ihr zu. Summers Wangen erröteten, sie lachte und warf dabei den Kopf in den Nacken, so dass ihr Kehlkopf vibrierende Lustbotschaften in den Raum warf, dann bewegte sie sich in unsere Richtung. Ich verehrte ihre ganze Gestalt, sog ihren schwungvollen Gang in mir auf und ertrank in ihrem süsslichen Moschus-Duft, der immer stärker wurde je näher sie uns kam und der den Raum weit mehr ausfüllte, als alle anderen Gerüche es konnten. Ihr Duft schlug mich mit seiner Intensität, begrub den der schwitzenden Dame neben mir, tötete meinen eigenen. Meine dreckigen Gedanken – ich schämte mich für meine Gier – überschütteten ihren Körper, küssten von Vorfreude erfüllt ihren reinen, glatten, jugendlichen Hals. Toms Warnungen, sein schallendes Gerede, prallten an mir ab und verliefen sich im Nichts unter meinen Füssen. Summer und ich redeten nicht miteinander. Sie redete mit Tom, kurz und angebunden, Unbedeutsames, Floskeln. „Das Buffet sieht fantastisch aus, Tom.“ Sie blickte nach links in Richtung der länglichen Aufbahrung der Nahrungsmittel, welche auf grossen Platten angeordnet waren. Sie sahen aus, als wären sie in Formen gegossen. Ich starrte Summer an, mein Blick folgte ihrem Körper zum Buffet, sie nahm Lachs und Meerrettich und Garnelen, und Reisbällchen und Couscous und ein paar dieser Käsequadrate auf Zahnstochern. Ihre Haare waren zu einem lockeren Knoten am Hinterkopf zusammengesteckt. Meine Handflächen waren feucht, ich wischte sie an meinem Jackett ab. Diese Handlung hatte etwas sexuell Anrüchiges, ich schämte mich sofort und versteckte meine Hände in den Hosentaschen, wo sie nichts anrichten konnten. „Geh fort.“, sagte Summer als ich sie an der Garderobe überraschte. Ihre Augen waren so gross, dass das Licht tanzende Figuren in ihnen malen konnte. Ich stand hinter ihr, auf einmal stand ich hinter ihr, ich hatte nicht gemerkt, wie mein Körper sich bewegte. „Geh fort mit mir.“
Einfach jemanden zum ersten Mal ganz nah sein, seinen Atem schlucken, hören, sich küssen wie verrückt, vor allen Leuten. Sing with me: I am norway and you are spain.

Summer atmete jetzt leise, ihre Augen sind milchig, es läuft Flüssigkeit aus ihnen, sie dreht den Kopf zur Seite, ein paar Haarsträhnen fallen ihr in den Mund, ich will sie befreien vom Haarmüll, der ihr die Luft zum Atmen nimmt, doch sie wehrt sich gegen meine Versuche, sie zu retten, soweit es ihr eben möglich ist.

Ich wusste, dass Summer mich von Anfang an betrog. Ich habe es ertragen, wie man schlechtes Wetter erträgt, oder die unfreundlichen Worte der Nachbarn, ich ertrug es und sagte nichts, damit sie mir blieb. Ich lernte ihren süssen Moschusduft zu teilen. Sie roch nach Männerparfum, mal rauchig, mal schwulstig-süss, gemischt mit dem Schweiss an ihrer Haut ein Cocktail, der mich besinnungslos machte und taub. Ich hatte die Männer an ihr gerochen, sie wechselten sich ab. Mal trat ein Geruch öfter auf, es gab aber auch Gerüche, die nur einmal da waren, ich konnte sie unterscheiden und fing an, ihnen Namen zu geben. Ich nannte sie Herbert und Martin, Anselm und Niko. Es war immer dasselbe, Männer drehten sich nach Summer um, machten Pfeifgeräusche wie Balzgesänge – Geilheit liess sie vergessen, dass sie längst verheiratet waren und taub. Einmal versteckte sich einer drei Tage unter der Steintreppe mit einem rosa Umschlag in seinen Händen. Natürlich habe ich ihn gesehen und gemerkt, dass er dort war. Verliebte haben eine erdrückende, schwermütige, egoistische Aura, die sich nur schwer verstecken lässt.

Ich schreibe keine pastellfarbenen Briefe, ich sage Dinge wie: „Ich möchte Dir in den Nacken beissen, damit mein Speichel sich mit deinem Blut verbindet und diese Wunden auf deinem Körper meinen Namen nach draussen tragen in die Welt. Nimm meinen Atem, ich schenke dir meinen Körper, wenn du danach verlangst. Er gehört dir, mach mit ihm, was du willst. Ohne deinen spürt er nichts, ist nichts mehr als Hülle.“ Sie würde dann sagen: “ Nein, Liebster, halte Dich zurück. Ich weiss du begehrst mich, du gäbst dein Leben für mich, aber die Liebe ist zu gross, wenn man an ihr stirbt. Ich liebe niemals, bis ich mich vergesse, niemals, und du solltest es auch nicht tun.“ Sie wirft mit Wörtern wie mit Steinen auf mein Herz. Seitdem ich sie kenne blutet es und das Blut lässt sich nicht stillen, es lässt sich einfach nicht stillen. Weder mit dir noch ohne dich.

Letztendlich hatte Summer es so gewollt. „Siehst du!“, schreie ich sie an, „siehst du, was du aus mir gemacht hast? Ein Wrack hast du aus mir gemacht, einen Köter, der nicht ohne Herrchen leben kann, eine bemitleidenswerte Figur aus einem Kitschroman, ich bin tot, ich kenne mich nicht mehr.“ Ihr Gesicht hat sich verändert, die Gesichtszüge sind eingefroren, der leidende Ausdruck in ihrem Gesicht verleiht ihrem Wesen einen neuen Charakter, den ich nicht leiden kann. Wie sie so stiert, wie sie mich ansieht, mit weit aufgerissenem Mut, wirkt sie abstossend ich mich. Es fällt mir jetzt leicht, sie anzuschreien. Ich bin wütend, haltlos, aufbrausend fast. „Jetzt bist du nicht mehr so schön, wie? Wo ist nun dein Hochmut hin, wo dein Stolz, häh?“ Ich könnte ihr jetzt Dinge sagen wie: „Nimm meinen Atem.“ Ich sage nichts mehr.

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